Bernd Ikemann – rein Gold

 

Auf bläulich schimmerndem, kaum merklich eingetöntem Grund reihen sich sorgsam gesetzte Reißzwecken zu parallelen Linien, sie formieren ornamentale Strukturen und umfahren eine freigelassene Mitte. Der wechselnde Lichteinfall setzt Reflexe auf den Metallköpfen, veredelt die schlichte Materialität zu reinem Gold, das wie ein kostbarer Rahmen ein vieldeutiges Vakuum umgrenzt: eine sprechende Leere, ein Ort der Imagination, die der Betrachter im rezeptiven Erleben individuell ausdeuten kann.

 

Bernd Ikemanns Kunst schafft Bilder, vor denen der Eindruck eines Altvertrauten, der vorschnellen Sicherheit alsbald der Irritation weicht. Ist die goldene Fläche wirklich Platzhalter eines ausgesparten Bildes? Wird nicht vielmehr der Rahmen durch die durchgängig farbige Monochromie der Wandfläche zum eigentlichen Kunstwerk, das durch leichten Schattenwurf seine prunkende Schwere verliert und auf dem planen Untergrund zu schweben scheint? Fragende Verunsicherung und Ratlosigkeit löst auch das Betrachten des ver-rückten Rahmens aus, der das vorgegebene Bild negiert und sich - geringfügig diagonal gestellt - seiner vertikalen Ausrichtung zu entziehen versucht.

 

In der Gesamtschau der golden blinkenden Installationen beginnen sich Räume abzuzeichnen, die über die realen Demarkationen hinauszuwachsen scheinen: Streng reihen sich die Rahmen zur Serie, eine Galerie baut sich auf, endlos fortsetzbar wie die vermeintlich geflieste Wand, deren goldendes Dekor die begrenzende Mauer auflöst und - beim rechten Lichteinfall - ein spiegelndes Kontinuum im gläsernen Widerpart findet. Historische Assoziationen werden wach, gespeist aus jenen uralten Myhten und Legenden, welche die Geschichte des edelsten aller Metalle seit Anbeginn allen Denkens begleiten: die goldenen Mauern des himmlischen Jerusalems, die das Auserwähltsein, die göttliche Dignität bekunden, die domus aurea das goldene Haus des Kaisers Nero, das sich auf den ausgeglühten Resten des niedergebrannten Roms erhoben haben soll, die goldenen Tempel Byzanz, die mit Gold ausgelegten Grabkammern der Pharaonen ...

 

Und doch: Es ist nur ein Spiel mit dem Schein, der ein anderes ernüchterndes Sein verbergen muß, um die Fiktion aufrechtzuerhalten. Bernd Ikemanns metallene Wandapplikationen bedürfen der Zauberkraft des Lichts und der distanzierten Betrachtung, um als verheißungsvoll schimmerndes Blendwerk die Imaginationskraft zu beflügeln. Ein Schritt zu viel, ein falscher Schattenwurf und die Illusion weicht der prosaischen Erkenntnis, daß eben nicht alles Gold ist, was glänzt.

 

Bernd Ikemanns „rein Gold“ ist eine große, Raum beherrschende Metapher für die Macht der Einbildung, den trügerischen Wahn, der Leichtgläubigkeit mit Enttäuschung, materielle Begierde mit wertlosem Tand belohnt. Im Motiv der Verführung aber, die zum lüsternden Zugriff verleitet und die Bestrafung fast zwangsläufig nach sich zieht, scheint aus der Ferne - weniger illustrierend, denn verhaltend kommentierend - ein Motiv aus dem Werk des Bayreuther Meisters auf, in dem der machthungrige Griff nach dem Gold den Beginn des endzeitlichen Weltgerichts heraufbeschwört.

 

Wolfgang Türk

 

(Eröffnungsrede zur gleichnamigen Ausstellung im Theaterfoyer der Städt. Bühnen Münster, 10. Mai - 6. Juli 2001)